Zeichenkurs, Lektion 9: Der Bewegungsausschnitt

Der Bewegungsausschnitt ist die Wahl der günstigsten Position aus einer Bewegungsabfolge. Als Comiczeichner muss man somit die gesamte Reihenfolge möglicher Bewegungen kennen, um dann zu entscheiden, welche für das Design und die Story am wesentlichsten ist.

Nicht nur beim  Bewegungsausschnitt muss man als Zeichner fortwährend Entscheidungen treffen. Auf jeder Seite, in jedem Bild und bei jeder Figur stellen sich solche Fragen: Wie lege ich die Panels an, was passiert auf ihnen und wie bewegen sich die Charaktere? Im letzten Punkt wollen wir in der Lektion 9 unseres Online-Zeichenkurses ansetzen, denn die Bewegungen sollen nicht nur dynamisch und gut/richtig aussehen, sondern eben auch die Geschichte vorantreiben.

Bewegungsausschnitte © Daniel Gramsch/Aicomic

Bewegungsausschnitt: Ein Entscheidungsprozess

Man kann es sich ein bisschen wie beim Zeichentrick vorstellen: Viele Einzelbilder in verschiedenen Positionen ergeben hintereinander geschnitten eine Bewegung. Da wir im Comic aber nur sehr selten den gesamten Ablauf darstellen, müssen wir uns zwangsläufig auf eine Position der Abfolge festlegen.

Bewegungsanfang © Daniel Gramsch/Aicomic

Neben der Frage, wo wir die „Kamera“ aufstellen (auch hiermit wird in gewisser Weise bereits der Bewegungsausschnitt definiert), müssen wir uns also auch fragen, was wir mit der Bewegung ausdrücken wollen.

Bewegungsdurchlauf © Daniel Gramsch/Aicomic

Wenn wir das obige Bild einmal nehmen, dann sehen wir neben der perspektivischen Verkürzung den Großteil des Bewegungsablaufes eines Helden, der sein Schwert zieht. Zeigen wir nur die Bewegung ganz links, so könnte es bedeuten, dass er bereit ist, sich dem Kampf zu stellen. Die Bewegung in der Mitte zeigt seine Angriffsbereitschaft, ist also entweder aggressiv oder defensiv, je nach Geschichte.

Bewegungsende © Daniel Gramsch/Aicomic

Die dritte Bewegung ganz rechts allerdings ist nicht nur das Ende der Abfolge, sie zeigt den Helden auch bereit, bedrohlich und bestimmt. Wenn wir diesen Bewegungsausschnitt wählen, geben wir der Geschichte eine deutlich andere Richtung – spannend wird es vor allem dann, wenn wir unsere Entscheidungen variieren und damit spielen. Denn somit gelingt es uns, der Story einen eigenen Ton zu geben und nicht nur Helden-Klischees abzuarbeiten.

Bewegungsabfolge: Wahl des Einzelbildes

Bewegungsfolge © Daniel Gramsch/Aicomic

Anhand der Skizze rechts kann man die Entscheidung aus einer Abfolge mehrere Bewegungen noch einmal sehen: Vorbereitung – Aktion – Nachspiel. Welche wir wählen, ist uns überlassen und man kann sie auch kombinieren. Während zum Beispiel der Schläger A bereits seine Bewegung bis zum Ende vollzogen hat, kann der Getroffene B gerade nach hinten kippen. Gleiches ginge aber auch, wenn A gerade mitten in der Schlagbewegung zu sehen ist.

Der Bewegungsausschnitt ist eine der wichtigsten Punkte, um seinem Comic die nötige Dynamik zu geben – doch beschränkt sich die Theorie nicht nur auf Actionsequenzen. Auch ganz reguläre Bewegungen wollen durchdacht sein, denn selbst Leute, die einfach nur miteinander reden, sehen besser aus, wenn sie nicht stocksteif in der Gegend herumstehen.

Talking Heads: Gestik beim Reden

Gestik © Daniel Gramsch/Aicomic

Bei einem Bewegungsausschnitt einer nicht actiongeladenen Situation kann man aus dem Gedächtnis schöpfen: Wie bewegen sich Menschen, wenn sie miteinander reden? Wie bewege ich mich? Wie kann ich meinen Figuren durch ihre Gestik eine eigene Stimme geben und sie voneinander unterschiedlich gestalten?

Vor allem sollte man darauf achten, sie nicht zu wild gestikulierenden Schablonen verkommen zu lassen, zu schlechten Schauspielern quasi.

Jegliche Form von Bewegung schließt nicht nur die bereits öfter erwähnten Anatomiekenntnisse ein, sondern auch das Wissen um den Faltenwurf von verschiedenen Kleidungsstücken. Und mit der Bewegungsführung findet sich zudem ein weiterer Punkt, der eng mit dem Bewegungsausschnitt verbunden ist: Durch die Wahl des Ausschnitts und der damit verbundenen Richtung der Bewegung führen wir auch das Auge des Lesers und können mit ihm gemeinsam arbeiten.

Diese beiden Punkte werden wir in der nächsten Lektion beim Aicomic – Zeichenkurs noch weiter ausführen. Bis dahin: Viel Spaß beim Zeichnen!

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